Next Gen Zahntechnik — Teil 1
Zwischen KI-Hype und digitaler Realität
Die positive Resonanz auf unsere erste Ausgabe hat uns sehr gefreut – vielen Dank für Euer Feedback. Auch diesmal bleiben wir unserem Versprechen treu: direkt, ehrlich und ohne Marketing-Blabla.
Wir widmen uns einem brisanten Thema: Künstliche Intelligenz (KI) in der Zahntechnik. Als Gast-Autorin unterstützt uns wieder Fachjournalistin Annett Kieschnick mit ihrem sachkundigen Blick auf die Branche. Zwischen Hype und konkretem Nutzen liegen oft Welten – wir schauen hin, was heute wirklich möglich ist und was die Zukunft bringen kann. Das Thema ist so facettenreich, dass wir es in zwei Teilen behandeln.
In dieser Ausgabe betrachten wir den aktuellen Stand und die Herausforderungen. Im nächsten LabMag Integrationsstrategien und ein Blick auf die generative KI der Zukunft.
Viel Freude beim Lesen und Entdecken!
Quick Takes | Was bewegt die Branche?
Chatten bis der Arzt kommt
Sichere Kommunikation im Gesundheitswesen: Acht von der gematik zugelassene TI-Messenger ermöglichen jetzt den sicheren Austausch zwischen Praxen und Laboren. Ab Q3/2025 sollen auch Patienten eingebunden werden – deutlich sicherer als WhatsApp & Co.
Countdown zur E-Rechnung
Elektronische Rechnungen empfangen müssen Dentallabore bereits seit Januar 2025. Die aktive Ausstellungspflicht kommt gestaffelt: 2027 für größere Labore (> 800.000 € Umsatz), 2028 für alle anderen.
Material-Offensive beim dentalen 3D-Druck
Die Palette dentaler 3D-Druckharze wächst rasant: Zur IDS 2025 wurden so einige Harze für neue interessante Anwendungsbereiche präsentiert – z. B. für Interimsprothesen und Sportmundschutz.
Deep Dive | Hintergrund und Perspektiven
Letzte Woche scrollte ich durch meinen Instagram-Feed und staunte: Plötzlich sahen viele meiner Kontakte aus wie in einer Action-Figuren Box – alle nutzten denselben Prompt. Mit zwei Klicks verwandelt der Algorithmus jedes Gesicht in einen Zeichentrick-Charakter. Beeindruckend? Ja. Kreativ? Eher nicht.
Denn wenn wir ehrlich sind: Die vermeintliche Demokratisierung der Kreativität durch KI macht uns nicht plötzlich zu Künstlern. Was menschliches Schaffen auszeichnet? Die persönliche Geschichte, der Wille zum Einzigartigen, die Absicht, andere zu berühren ...
Jenseits der Kunst bietet uns KI großartige Möglichkeiten. In der Zahntechnik könnte sie weit über reine Effizienzsteigerung hinausgehen und neue Räume für Präzision, Personalisierung und Prozessoptimierung eröffnen. Doch zwischen Hype und Realität liegen oft Welten – oder eben entscheidende Entwicklungsjahre. Was häufig als revolutionäre Vision angepriesen wird, muss sich im zahntechnischen Alltag beweisen. Zeit für einen Reality-Check zwischen Hype-Cycle und Gamechanger; Zeit für einen nüchternen Blick auf eine Technologie, die unsere Branche tatsächlich fundamental verändern könnte – wenn sie hält, was sie verspricht.

Vom Hype zur Realität: Milliarden-Markt mit realen Anwendungen
Im Februar 2025 erteilte die FDA für VideaHealth die bisher größte Zulassung im Bereich der dentalen KI – ein deutliches Signal für den Wandel der regulatorischen Landschaft. Zudem prognostizieren Marktforschungsinstitute ein signifikantes Wachstum des KI-Marktes im Gesundheitswesen.
Aber ehrlich: Was zählt, sind für Anwender nicht Prognosen, sondern der Nutzen im Alltag. Und hier passiert gerade mehr, als viele wahrhaben wollen. KI entwickelt sich vom bloßen Assistenzsystem zum eigenständigen Akteur. Die erste Generation hat Prozesse automatisiert – die neue Generation wird sie transformieren. Praxisnahe Beispiele:
- Overjet analysiert Röntgenbilder binnen Sekunden und markiert Kariesläsionen, Knochendichte und Anomalien, die dem menschlichen Auge oft entgehen
- Yomi, das erste FDA-zugelassene Robotersystem für die Implantologie bietet haptische Führung während der Implantatinsertion.
Was diese Anwendungen von früheren Lösungen unterscheidet? Sie verändern nicht nur, wie wir arbeiten, sondern was wir tun. Und hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen der ersten und zweiten KI-Welle – im Übergang von der reinen Prozessoptimierung zur echten Transformation.
KI 2.0: Jenseits der bloßen Automatisierung
Die erste Generation von KI-Anwendungen hat Prozesse automatisiert, z. B. CAD-Vorschläge in Modell- (z. B. didex) oder Design-Software (z. B. Maestro 3D Ortho Studio, exocad AI), die optimierte Fertigung durch intelligente CAM-Software (z. B. MillBox) oder die Workflow-Optimierung bei CAM-Maschinen. Das alles ist großartig – aber scheint nur der Anfang. Die wirklich spannenden Entwicklungen gehen weit darüber hinaus.
Vier Schlüsseltrends der KI 2.0
- Multimodale KI-Analyse: Statt isolierter Datenquellen kombinieren fortschrittliche Systeme Text-, Bild- und 3D-Daten. Dies ermöglicht eine kontextsensitive Interpretation klinischer Fälle. Die Analyse berücksichtigt u. a. anatomische Strukturen, Patientenhistorie, funktionelle Parameter, ästhetische Präferenzen, Medikationswechselwirkungen.
- LLM-basierte Assistenzsysteme: Large Language Models (LLMs) – technologische Basis hinter Sprach-KI wie ChatGPT – finden Eingang in die Dentalbranche. Spezialisierte LLMs verarbeiten Patientenakten, wissenschaftliche Literatur und klinische Erfahrungen.
- Immersive Kollaboration: VR-gestützte Plattformen revolutionieren die Zusammenarbeit zwischen Labor und Praxis. In der virtuellen Welt lässt sich standortunabhängig in Echtzeit zusammenarbeiten.
- Generative Designsysteme: KI-Systeme können basierend auf funktionalen und ästhetischen Parametern eigenständig neue Restaurationsdesigns generieren.
Zwischen Euphorie und Realität
Bei aller Begeisterung ist eine Bestandsaufnahme nötig. Drei zentrale Aspekte prägen die Diskussion:
Sinnvolle Integration vs. technologischer Overkill
Neue Systeme bieten faszinierende Möglichkeiten – doch die Herausforderung liegt in der sinnvollen Integration in bestehende Workflows. Entscheidend ist die Identifikation des „Sweet Spots“ zwischen Innovation und bewährten Prozessen. Labore, die KI als Erweiterung ihrer Kompetenzen begreifen und nicht als Ersatz, werden die überzeugendsten Resultate erzielen.
Mensch und Maschine: Wer führt Regie?
Die Zuverlässigkeit moderner KI-Systeme hat sich enorm verbessert, dennoch bleiben zahntechnische Expertise und klinische Erfahrung unersetzlich. Die Zukunft liegt in hybriden Modellen, in denen KI repetitive Aufgaben übernimmt. Wichtig ist es, die potenziellen Risiken von „Black-Box“-Ergebnissen zu berücksichtigen, bei denen die Entscheidung der KI nicht nachvollziehbar ist.
Datenökonomie vs. Datenschutz
Multimodale KI-Analyse erfordert eine umfassende Datenintegration. Die fortschrittlichen Systeme benötigen eine kritische Masse an Trainingsdaten für optimale Ergebnisse. Ein Datenpool vieler Patientenfälle kann helfen, Trainingsdaten zu optimieren. Gleichzeitig muss der Schutz sensibler Daten gewährleistet sein.
Fazit – Teil 1
So viel zu aktuellen Möglichkeiten und Herausforderungen der KI in der Zahntechnik. Wie aber lässt sich die Technologie sinnvoll in den Laboralltag integrieren? Welche konkreten Strategien haben sich bewährt? Und welche Rolle wird die generative KI in der Zahntechnik spielen? Diese Fragen beantwortet die Fachjournalistin Annett Kieschnick im zweiten Teil unserer KI-Serie in der nächsten Ausgabe vom LabMag.